Der Tulpenbaum

16.06.2013 15:40

 

 

Vor wenigen Tagen war ich mit meinem Hundi in unserem nahe gelegenen Park unterwegs. Wie so oft in den letzten Monaten. Wege und Teile der Wiesen dort standen vom Dauer-Regen und vom Druckwasser des nahe liegenden Deiches noch unter Wasser.

 

An einem kleinen Marktstand am Parkeingang fiel mir eine ältere Frau auf, die mit ihren Armen wild gestikulierend beim Händler um Erdbeeren feilschte und sich dann bei ihm ob des Erfolges überschwänglich mit Küsschen auf die Wange bedankte.

Um sie herum wuselte ein kleiner Dackel. Von der Mittsiebzigerin wehte mir beim Vorbeigehen eine Alkohol-Minz-Erdbeer-Fahne herüber.

Da wir uns in der Vergangenheit schon gesehen und auch einmal zusammen ein Stückchen Gassi gelaufen waren, rief sie mir zu, dass sie gerne mit mir mitschlendern wolle.

Ich ließ es zu.

 

Sie fluchte unterwegs wie ein Droschkenkutscher. Jeder, aber auch jeder bekam sein Fett weg.

Auch zu mir sagte sie kurz, mit einem bösen Seitenblick: „Du bist aber heute auch geladen!“

Ich lächelte sie darauf an und erwiderte, dass ich mich heute ausgesprochen gut und stimmig fühle. Sie brubbelt was Unverständliches in ihren nicht vorhandenen Damenbart und weiter ging´ s des Weges.

 

An einem Würstchenstand im Parkgelände standen zwei Drag Queens – Möchtegern-Doubles a la Olivia Jones.

Nur in klein.

Meine angetüdelte Omma musste den zwei „Damen“ mit den sonoren Bassstimmen seeehr laut mitteilen, dass sich Frauen anders benehmen. Sie hätte da schließlich Erfahrung. Geschminkt war „meine Omma“ aber fast genauso wie die zwei Möchtegern-Damen: Hellblauer Lidschatten und knallrot übermalter Mund. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.

 

Just in dem Moment stürzte sich eine „echte“ weibliche Begleiterin des „Künstler-Duos“, die allesamt auch schon jeder mindestens eine Flasche Magnum geleert zu haben schienen, in Richtung Omma. Ich und Sammy konnten uns gerade noch dazwischen werfen und schlichten.

O, o … Ich verabschiedete mich/uns schnell mit einem Augenzwinkern und einer Entschuldigungsfloskel in Richtung der Doppel-Olivias, welche meiner Omma gnädig mit einer saloppen Handbewegung verziehen.

 

Die anderen kleineren Pöbeleien im Park erspare ich euch hier.

 

Dann kamen wir zu einem Riesen-Baum. Groß wie ein Hochhaus. Omma guckte und suchte im Gras unterm Baum. Ich fragte sie: „Hast du hier was verloren? “, da bückte sie sich und hob etwas auf.

Sodann legte sie mir 3 grüne walnussgroße Knospen in die Hand und flüsterte mir etwas ins Ohr und dass  sie dieses „Geheimnis“ nur Menschen anvertraue, die sie wirklich gerne hätte.

Scheinbar schien ich zu diesem auserwähltem Kreis dazuzugehören.

 

Als wir uns dann ein wenig auf einer Bank ausruhten, rutschte ihr rechter Jackenärmel nach oben und ich sah eine fast verheilte Wunde an ihrem rechten Unterarm.

Auf meine vorsichtige Frage hin, was dies denn für eine Verletzung sei, antwortete sie mir, dass sie sich mit dem Mann des Hauses gezofft hätte. Dabei zeigte sie auf den brav vor ihr stehenden Mini-Dackel.

Ich erkundigte mich auch heute wieder, ob sie in ärztlicher Behandlung sei. Auch wegen ihres Alkoholkonsums. Sie verneinte.

Und dann erzählte sie mir, warum sie seit 2 Tagen wieder stärker trinkt.

Vor ihrem Haus werden Bäume gefällt und eine Villa, nein eher ein Betonklotz hingesetzt, der ihr die Sicht auf ihr geliebtes Grün nimmt. Am liebsten würde sie ja umziehen, aber dafür sei sie zu alt. Auch hätte sie eine schöne kleine Wohnung mit Balkon, die sie nicht aufgeben wolle.

Ich sagte zu ihr, dass sie sich dann eben mehr Grünzeug und Blumen auf den Balkon und auf die Fensterbretter stellen solle. Das habe sie ja schon, antwortete sie leise.

Dann atmete sie tief durch und sagte mir, dass sie nun wieder versuchen will, weniger zu trinken. Es gäbe auch Tage, da rühre sie keinen Tropfen Alkohol an.

Ich lobte sie dafür und lächelte ihr zu.

 

Bei unserem letzten Gespräch hatte sie noch keinen neuen Hund, aber war depressiv und sehr verstimmt. Sah keinen Sinn mehr im Leben.

Heute war sie zwar angetrunken, aber ihr Lebensfunke glühte wieder.

Auch hat sie nun mehr Kontakt zu ihrer Schwester und zu den Hausbewohnern.

 

Ein ungutes Gefühl bleibt aber trotzdem … bei mir … und ich überlege, wie ich ihr wirklich helfen kann.

 

Am Abend, als ich mich schlafen gelegt hatte, fielen mir die Knospen in meiner Jackentasche ein. Ich stieg also noch mal aus dem Bett und kramte sie aus den Tiefen meiner Joppe.

Sie sahen sehr mitgenommen und krank aus. Erst wollte ich sie entsorgen, doch dann nahm ich eine kleine Plastedose, füllte etwas Wasser ein und stellte die Sprösslinge hinein.

 

Am nächsten Morgen erlebte ich ein Wunder … schaut es euch selbst an!